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Joachim Borner | Wissenschaftsrelevanz und nachhaltige Entwicklung

Kommunikation und gesellschaftliche Suchprozesse

Natürlich wissen wir nicht, ob die globale Gesellschaft die komplexen, qualitativen Herausforderungen – wie den Klima- und den demografischen Wandel mit ihren „tipping-points“, wie die Ressourcenerschöpfung und den overshoot, wie Verteilungs- und Chancenungerechtigkeiten u.a. bewältigen wird.

Was wir aber WISSEN ist, dass wir nur begreifen, herausfinden und anerkennen werden, worin unsere Zukunftsmöglichkeiten bestehen und welche „große Erzählung“ unsere mögliche Zukunft beschreibt, wenn es uns Kulturen übergreifend gelingt zu kommunizieren sowie moderierte Formen des Streits und der Kontroverse zu entwickeln!

Die Kontroverse versteht sich dabei als die tragende kommunikative Kulturtechnik für Suchprozesse in „großen Transformationsprozessen“.

“The question is: will this transition come because we act and deliberately bring it down to processes which we consider to be politically and economically and ethically acceptable. Or we will continue to ignore the problems and then the planet will force this growth to go down but in ways which aren’t very pleasant.” (D. Meadows)

Dabei darf sich die Kontroverse nicht beruhigen oder kanalisieren lassen durch Appelle zur Mäßigung, sondern muss partizipativ, unter Beteiligung aller, ausgetragen werden.

Eine „flexible“ INTELLIGENZ der Wissenschaft ist gefordert, um mit langem Atem die bedeutsamen Themen nachhaltiger Gestaltung von Zukunft – in sich durch Klimafolgen u.a. verengenden Bandbreiten – zu finden und die Beteiligten, Aktivisten, Visionäre und Entscheider in eine Kommunikation einzubinden, die die Konflikte und Kontroversen fruchtbar für diese Aufgabe zu gestalten vermag.

Wissenschaft hat dabei nicht mehr die Aufgabe Gewissheiten herzustellen; Aufgabe ist es, infrage zu stellen. Nur auf diese Weise kann Wissen sicherer gemacht werden und neues Wissen generiert werden.

Entscheider müssen lernen, dass die Faktenlage längst nicht immer eindeutig ist – und die Wissenschaft das auch nicht suggerieren darf. Handlungen werden anerkanntermaßen auf bestem Wissensstand – aber einer unsicheren Wissensbasis basieren.

Transformationsforschung und Kollaboration

Transformationsforschung ist dabei der kollaborative, kommunikative Lern- und Deliberationsprozess in der (globalen) Gesellschaft. Sie entwickelt die kulturelle individuelle wie institutionelle Kompetenz des „Möglichkeitssinns“ – der Fähigkeit, alternative Gesellschaftsentwicklungen zu entwerfen, Partner und Unterstützer zu motivieren, einen Pfad zu wählen und seine Gestaltung zu beginnen. Als „Kommunikation zur Teilhabe“ reflektiert sie kritisch die notwendigen Grundlagen – wie ein fundiertes Verständnis des Handlungsdruckes und globales Verantwortungsbewusstsein – und generiert ein systemisches Verständnis der Handlungsoptionen. Narrative Geschichten des Wandels brauchen wir, um diese über kreative Formen der Wissenskommunikation in den Alltagsdiskurs einzuspeisen und dort weiter zu entfalten.

Die transformative Forschung schafft ein Verständnis für Handlungsoptionen und Lösungsansätze. Entsprechende Inhalte betreffen z. B. Innovationen, von denen eine transformative Wirkung zu erwarten oder bereits eingetreten ist. Diese inhaltliche, wissenschaftliche Auseinandersetzung geht mit Interessenkonflikten und politischen Debatten einher.

Transformations- und transformative Forschung hat schließlich das methodologische Problem des Zeitfensters zu lösen: In Umbrüchen erwarten die Aktivisten handlungsleitendes Wissen. Dieses kann mit traditionellen, arbeitsteiligen Methoden der wissenschaftlichen Analyse und Abstraktion nicht zeitnah zur Verfügung gestellt werden.

Es bedarf kollaborativ organisierter Formen der Zusammenarbeit von Experten und Aktivisten, in denen kognitives Wissen und Erfahrungswissen integriert und der Öffentlichkeit für weitere Diskussion und Partizipation transparent kommuniziert werden.

Joachim Borner