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J. Borner | Kulturelle Dimension und Kommunikation

„Deshalb gehören die Menschen nicht ins Paradies, in die ewige Form retrospektiver Träume, sondern in den Augenblick. Hier und jetzt sind sie Kinder des Labyrinths, das sich aus den Spuren der Sonne auf dunklem Grund ergibt, immer wieder und immer wieder anders.

Die Alten glaubten, daß jeder Einzelne sein eigenes Ethos habe, das sich aus den Konstellationen des Himmels und dem jeweiligen Stand der Sonne ableiten läßt. Der Bewegung innezuwerden, die der Körper in seiner Aufrichtigkeit auf Erden und mit der Erde beschreibt, galt als das Höchste (…). Um nicht zu vergessen, errichteten sie Bauwerke. Die schönsten waren ausnahmslos Kalenderbauten, um dieses Spiel von Licht und Schatten zu wiederholen.“

„So läuft schließlich alles auf ein singuläres Ethos hinaus, auf ein Gesetz für den Fall. ‚Handle nur, wenn das, was getan werden muß, nur von dir getan werden kann. Denke nur, wenn das, was gedacht werden muß, nur von dir gedacht werden kann. Laß dich nicht vertreten.  Vertrete niemand. Sprich nicht im Namen anderer. Verzichte auf deinen Namen. Höre lange zu und erkenne die Stimme, die nur dich meint.“

Dietmar Kamper 1992, Vorwort zu „Sonnenstand“

Mit der Dimensionstheorie zur nachhaltigen Entwicklung, also der Aufteilung nachhaltiger Entwicklung auf die drei Interessensäulen Wirtschaft, Soziales und Ökologie [1] ist durch die Focussierung auf die drei Säulen oder Dimensionen auch die Kommunikation gelenkt: die naturwissenschaftliche Analyse und Modellierung der natürlichen Entwicklungsprozesse (Mensch-Natur-Verhältnis) wird mit naturwissenschaftlichen Argumenten kommuniziert, der vom Umweltschutz herkommende Innovationsanspruch an Technik und Ökonomie wird an der „Leitplanke“ wirtschaftlicher Verträglichkeit (also ökonomischer Rationalität in der globalen Wirtschaft) gemessen, die soziale Dimension schließlich wird reflektiert am Verhältnis der Explosivität des zunehmenden Exklusionsgrades von Bevölkerungsteilen (aus Arbeit, von Wissen…) und der sozialen Explosivität von Wirkungsfolgen von Umweltschäden und dem daraus abzuleitenden Verteilungsanspruch.

Folglich reduzieren sich die Nachhaltigkeitsdiskurse auf exklusive Veranstaltungen von Experten (der Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft) innerhalb der drei Säulen (oder auch: innerhalb der politischen Ressortverständnisse: Wirtschaft, Arbeit und Soziales), in denen sich binäre Codes für „nachhaltige Entwicklung“ ausprägen.

Die Folgen für die Kommunikation sind mehrschichtig:

1. Sie findet sektoral nicht integrativ statt und verfestigt die Splittung nachhaltiger Entwicklungsmaßnahmen nach den Interessenlagen der gesellschaftlichen Teilbereiche Wirtschaft und Soziales. (Damit wird die ökologische Frage wieder zum Appendix gesellschaftspolitischer Entscheidungen anstatt umgekehrt zur Grundlage einer innovativen Offensive aufgewertet zu werden.

„Im historischen Rückblick zeichnet sich ein enger Zusammenhang zwischen Art und Weise des Wirtschaftens und seiner technischen Mittel ab. Das Mittelalter hatte die Handmühle, die industrielle Revolution schuf für die Marktwirtschaft die Dampfmühle. Ist es da nicht logisch zu fragen: Welche Mühle passt zu den … (ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Managementregeln der nachhaltigen Entwicklung – JB)?“

Joachim Borner 1997

„Heute muss es um eine radikale Fassung dieses Konzepts (der ökologischen Modernisierung) gehen: Die Innovation muss mehr sein als die schrittweise, die „inkrementale“ Verbesserung der Technik: Es geht nicht nur um Steigerung der Öko-Effizienz, sondern um wirklich andere Technik (also beispielsweise nicht nur um das effizientere Kohlekraftwerk, sondern um die Solarenergie) und darüber hinaus um soziale Innovationen, um neuartige Nutzungskonzepte für Produkte und Dienstleistungen. Und auch die Diffusion muss über die Verbreitung alternativer Technik in Nischenmärkten hinausgehen: Ziel muss die möglichst vollständige Marktdurchdringung mit der grundlegend neuen Technik sein: Es geht um die Durchdringung nationaler Märkte und um die Durchdringung internationaler Märkte, denn Umweltprobleme sind in der Regel globale Probleme.“

M. Jänicke/ A. Volkerey 2002

Im integrativen Ansatz wären die Chancen für lebensweltliche Übersetzungen der Ansprüche und Chancen nachhaltiger Entwicklung gegeben. Denn was Jänicke mit Markt meint, hat unmittelbare Rückwirkungen auf die alltagskulturellen Lebensumstände aller.

Ein einfaches – didaktisches – Beispiel. Der, der sich entscheidet, Solarkollektoren auf das Dach zu setzen und dafür die nötigen Investitionsmittel aufbringt, entscheidet zugleich, wie umfangreich er seinen Maschinenpark in Küche und Haushalt aufrüstet (oder nicht). Denn er ist plötzlich Produzent und Konsument in Einem. Er hängt eben nicht mehr als Endabnehmer an den Strippen: Einmal der Energiestrippe, zum anderen an den Versprechungen der Haushaltsgerätehersteller. Er muss ganz real anfangen selbst zu wählen, zu entscheiden, was er wirklich – aus seiner Lebensvorstellung her – benötigt, braucht und nutzt. Das kann ein großartiges Erlebnis sein. Ökoeffizienz und die bisher moralisierte Suffizienz kommen damit erst unter einen Hut.

Doch in der sektoralen Trennung kommt diese entscheidende Kommunikationsebene überhaupt nicht ins Gespräch.

2. Die Kommunikatoren nachhaltiger Entwicklung – egal welchem Lager sie angehören, also auch die Akteure der Zivilgesellschaft – haben sich in diesen Auseinandersetzungsdiskursen sozialisiert. Sie wissen sehr viel über die neuen Entwicklungsbedingungen (wie Unsicherheit und Komplexität), sie begreifen die Welt neu und setzen – mit dem erworbenen expertensprachlichen Grundstock ihrer Neuerkenntnis – an, die übrige Welt aufzuklären.

Da die suchende und sich auseinandersetzende Kommunikation aber wenig in den normalen Lebenswelten stattfand und stattfindet, auch wenig mit „Erfahrungswissenden“ (sondern eben in den Zirkeln) erscheinen sie – die Kommunikatoren – nun in der allgemeinen Öffentlichkeit als Missionare. Ihr Wissen ist fertig, ihre Zuversicht auch und die Botschaft ist eineindeutig klar.

Im Sinne der Renaissance ist man und frau Aufklärer – leider nicht im habermasschen Sinn. Denn das Fatale ist, dass eigentlich nichts fertig ist (und fertig sein kann). Aus dem Umbruch, der gegenwärtig mit uns geschieht einen „Aufbruch“ hin zur gewollten Zukunftsgestaltung zu machen, vermittelt man niemandem mit Fertiggerichten.

Zurück in die Mühen der Ebenen.

3. Wir meinen schon, dass die Indikatoren der gesellschaftlichen Zustandsbeschreibung ausreichen, um zu begreifen, dass ein reformiertes „immer weiter so“ nicht mehr geht. Und wir wissen auch, dass dies alle längst wissen.

(Deshalb ist das Buch auch für die Initiativen und Organisationen, die ungeduldiger, weitsichtiger und pragmatischer sind als die Utopisten eines reformierten Kapitalismus.)

Aber auch sie – diese Promotoren – erscheinen immer mehr als Sprachexperten in der Öffentlichkeit und sind so „verständlich“, wie die „Börsennotizen“. Ausformulierte Pakete von Leitsätzen statt Fragen, statt plausibler Infragestellungen.

Wie selten sind kommunikationsfähige Infragestellungen wie die von Vivian Forrester zur aktuellen Ökonomie geworden. Welche vielen Organisationen (z.B. die Gewerkschaften) hätten da nicht heimlich Raubkopien bestellen müssen, um alle Mitglieder mit Denkanstößen auszustatten (und den Sektor der schwarzarbeitenden Wertschöpfung zu fördern?). Und sie hätten damit eine gesellschaftliche Diskussion in Gang setzen können. Sie hätten das Thema Arbeit und Ökonomie auf die Tagesordnung gesetzt – eine gewisse Zeit lang mit einem gewissen Niveau. Beides, Zeit und Niveau fanden nicht statt.

Ähnliches gilt für die ökologische Seite: Es ist wenig unexpertisches aber niveauvolles da – doch es wird verramscht oder missachtet. (Vielleicht liegt es daran, dass die Verfasserinnen nicht immer den Stallgeruch der zivilgesellschaftlichen Organisation haben.) Oder es läuft einfach nebeneinander her: NRW macht mit Fritz Pleitgen nachhaltige Kommunikation, in Hessen geht es um diese in der Berufsausbildung, das Grimme Institut veranstaltet einen Journalistenworkshop für Kommunikation nachhaltiger Entwicklung, auf der Jahrestagung des Rates für nachhaltige Entwicklung ist dieses Thema auch Thema usw.

Aber noch mal zurück: Kommunikation und Kommunikatoren nachhaltiger Entwicklung treten wie „selbstverständlich“ als Expertenveranstaltung auf, die dann logischerweise in der Missionärs“falle“ landen wenn sie sich in die Welt trauen.

Nun kommen sie da an und werden missachtet. Denn so will mans (das Volk oder die Bevölkerung oder die Menschen im Land – auch ein interessanter Zugang für das Kommunikationsverständnis von Eliten) nicht gesagt bekommen. Das ist so wie die Arbeitsamtsverarschung mit mehr Qualifikation, die nur sagt: Hey Du, weißt Du mehr und kannst Du mehr ist gleich, dass der Geber von guter Arbeit hinter Dir steht und auf Dich wartet. ((Auch wenn er eigentlich meine Arbeit nimmt – wenn er sie nimmt)) (Der Osten Deutschlands, insbesondere seine Arbeitslosen sind dermaßen qualifiziert, dass ganz Deutschland aufleben müsste.)

4. Die Kommunikatoren für nachhaltige Entwicklung sind mindestens auf zwei Ebenen selbstzensorisch: Einmal auf der Ebene von Kommunikationsmitteln oder Plattformen: Was z.B. Mittel der Werbung oder der soapoperas ausschließt und unbedingt ernste Helden oder Identifikationsfiguren erwartet (Das Archiv des Ökomediainstituts legt davon Zeugnis ab). Zweitens durch permanente Selbstkritik der Kommunikationsschwäche: Kampagnen gelingen nicht ist der Tenor, oder Nachhaltigkeit lässt sich nicht kommunizieren und das wird dann begründet oder es wird angenommen, dass Spots in den Formen des nachhaltigen Filmblicks nicht unmittelbar Verhaltensänderungen auslösen. Nur: Kampagnen finden bislang ja noch gar nicht statt, Erfahrungswissende können gute Lieder über Kommunikationserfolge zeigen.

5. Interessenkonflikte, die in der Natur des Mensch-Umweltverhältnisses liegen werden seit einigen Jahren nur noch konsensual bewirtschaftet. Der Streit ist uncool. Und die Nachhaltigkeit ersetzte eine (zu entwickelnde) Konfliktkultur durch eine schläfrige Harmoniekultur. In dieser bleibt das Klagen darüber, dass es so viel verschiedene Erklärungsansätze für nachhaltige Entwicklung gibt. Das aber ist doch gerade der Anfang der Kommunikation, da müsste doch Schlange gestanden werden mit Ideen, wie, über welche Streits, über welche Werbungen und „Nötigungen“ die Auseinandersetzung um eine mehrheitlich ähnliche Vorstellung (oder Leitbild) nachhaltiger Entwicklung – zum heutigen Zeitpunkt – gesellschaftlich erarbeitet werden kann.

Diese kritische Auflistung ist rein pragmatischer Natur: Kommunikation nachhaltiger Entwicklung muss vom Kopf auf die Füße gestellt werden: Es geht um die gesellschaftliche Leistung, den Umbruch wahrzunehmen und sich Gestaltungsräume (und –ziele) gemeinsam zu erarbeiten, mit denen Zukünfte aktiv machbar werden. Der Dialogprozess in der Schweiz, den Niederlanden zum nationalen Umweltplan hat weit mehr Grundresonanz geschaffen, als die Command-Ansätze in Kanada oder Deutschland.

Dr. Joachim Borner, KMGNE, 05.06.2013

[1] Diese Aufteilung ist durch die Enquetekommission des 13. Deutschen Bundestages „Schutz des Menschen und der Umwelt“ eingeführt worden. Und leider dominiert dieser Ansatz fast unangefochten die fach-öffentliche Diskussion und die Lehrinhalte an Schulen und Universitäten.
vgl. Das Drei-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit
Joachim Borner 1997, Sondervotum, in: Konzept Nachhaltigkeit, Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt“, Bonn, S.168
Dietmar Kamper 1992, Sonnenstand. Acht Kalenderbauten auf dem Weg nach Santiago de Compostela, Köln, DuMont
Martin Jänicke/ Axel Volkery 2002: AGENDA 2002 ff.. Perspektiven und Zielvorgaben nachhaltiger Entwicklung für die nächste Legislaturperiode. Berlin: Friedrich-Ebert-Stiftung und Heinrich-Böll-Stiftung
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