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J. Borner | Fragen zur nicht-fragenden Gesellschaft

Dr. Joachim Borner | Vorwort zum Newsletter März 2015

Das GORKI (Theater) hat seinen Newsletter. „Es schneit im April“ ist der aktuelle Titel! Darin öffnet Shermin Langhoff für sich und ihre „mündigen Künstler/-innen“ ein eigenes Sprachrohr, mit dem sie in die Transformationen der deutschen Gesellschaft hineinruft, interveniert, fragt. Das Programm ihres Theaters stellt sie In-Frage – zu den Fragen der Gesellschaft oder zu der nicht-fragenden Gesellschaft.

Dem möchten sich das KMGNE und das CCCLab anschließen. Mit einem eigenen Newsletter und „Programmheft“ und mit eigenen Fragen wie etwa:

Es gibt physikalische Grenzen des Wachstums, die angesichts der aktuellen Trends wohl noch zu Lebzeiten unserer Kinder erreicht und überschritten werden werden. -Dennis Meadows, 1972

Klassische Reaktionäre – wie James Inhofe – gehen damit souverän um: vor kurzem im Spiegel zu lesen: Der Senator aus Oklahoma, der gegen die Lüge vom Klimawandel angeht, brachte nun den endgültigen Beweis mit: einen Schneeball. „Wir hören immer wieder, dass 2014 das wärmste Jahr war, das es jemals gab“, sagte er. „Nun, draußen ist es aber kalt, sehr sehr kalt.“ Er hat Erfolg damit. Warum nur?

Enrico Cerasoulo hat Last Call gemacht. Einen Erinnerungsfilm über den langen Zeitraum der Erklärung und Aufklärung, des wissenschaftlichen Nachweises und der ethischen Appellation zu den „Grenzen des Wachstums“ – nämlich von 1972 bis heute. „Wir haben nichts gewusst“ ist danach kein Argument! Wann in der menschlichen Kulturgeschichte gab es einen solch langen Zeitraum diskursiver Abwägungen zu in der Zukunft anstehenden „Tipping Points“ im Klimawandel, kriegerischen Konflikten, Armut, Hunger, Finanzkrise, Ressourcendefizite und Überbevölkerung? Die Hauptakteure, die die Studie und die folgenden Untersuchungen zu den Grenzen des Wachstums verfassten – also Donella Meadows, Jorgen Randers, Dennis Meadows und William Behrens – sind heute keine Klugscheißer und Rechthaber. Zu gern hätten sie nicht Recht behalten, zu gern hätten sie zugestanden, dass ihre Szenarien keine Prognosen waren. Doch Ölschock, Energiekrise, Klimawandel, Währungs-, Finanz- und Schuldenkrisen, Peak-Oil, Artensterben – keiner dieser Warnschüsse der letzten Jahrzehnte hat den Glauben der Eliten wie der Massen an immerwährendes Wachstum erschüttert. Das Gegenteil ist der Fall.

Die über die Wohlfahrt wie über die demokratische Teilhabe der Zivilgesellschaft der Zukunft entscheidenden Fragen aber lauten: Wie können – unter Bedingungen sinkender Wachstumsraten – Arbeitsplätze, Renten, Bildung, medizinische Versorgung gesichert werden? Wie verschieben wir den Earth Overshoot Day wieder auf den 31. Dezember? Wie sähen die Alphabetisierungsprozesse für eine Gesellschaft des „Weniger“ aus? Wie definiert man angesichts der kommenden Rationalisierungswellen „gute Arbeit“ und wie – angesichts der rasanten Umverteilung von unten nach oben – „gutes Leben“?

Der zu zahlende Preis für das gedankliche Kleben am Status quo ist der Zerfall des Interesses an und der Wertschätzung der parlamentarischen Demokratie. Die Wahlenthaltungen, die Popularität der Verachtung für Politiker sind die Kehrseite der Entleerung demokratischer Begriffe und Werte durch die Eliten, die umfangreiche Abgabe politischer Handlungskompetenz an nicht-demokratisch legitimierte Institutionen.

Die Wissenschaften und ihr strukturelles und Spielregelsystem sind einiges von dem entfernt, was man als problemorientierte Wissensbearbeitung (auch szenarisch antizipierbare Probleme) und problemadäquate Erfassung der kohärenten Wissenstypen beschreiben könnte. Natürlich haben sie erfolgreich (!) Symptome und Syndrome der ökologischen Veränderungen durch den menschlichen Metabolismus erklären können. Aber der Prozess, der dahinter liegt, mit seinen unscheinbaren bzw. radikalen Tipping Points oder mit der Entmachtung traditioneller Gewissheiten – dem (siehe oben) fehlt die Wissenschaft, die gesellschaftliche Transformationen proaktiv begleitet. „Wayfinding through orientation“ ist nicht nur ein technologisches Schlüsselwort für GP-Systeme. Es ist die Forderung nach transdisziplinär arbeitendem, kontroversem, öffentlich-wissenschaftlichem und intervenierendem Denken – über entsprechend konditionierte wissenschaftliche Institutionen. Der Dritte Sektor ist dabei – bislang – Vorreiter. Zumindest was transformative Forschungszugänge betrifft.

Dünn sieht es bei dem aus, was mit Ausprägungen von „transformative literacy“ in gesellschaftlichen Lernprozessen, in Bewegungen mündiger Bürger gedacht wird. Didaktisch neue, kollaborative Suchansätze in Lernarrangements realer Transformationen gibt es in nur wenigen und isolierten Ausnahmen. Wissenschaftliche Weiter- und Fortbildungen, die sich transformativer Gestaltungskompetenzen – einschließlich der Fähigkeit zu Kommunikationen, die zum „robusten Wissen“ beitragen „dürfen“, also in gesellschaftliche Diskurse inkludiert werden, sind rar – Forderungen nach einem „Mehr“ gehen in Richtung Nachwuchswissenschaftler. Warum nur?

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