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DiV Santiago: Donnerstag, 12.01.2017

Und bitte: Urbane Aktion in Chile!

Der Tag beginnt mit einem ungewohnten Format, der Fishbowl-Diskussion. Drei Akteure besetzen die Stühle in der Runde und stellen ihre praktischen Erfahrungen hin zur Transformation vor. Isabel Araos, die mit „Población Yungay“ ein interdisziplinäres Projekt zwischen Universität und Komune initiiert hat, Felipe Marchant,

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Anne Mette

der bei der Stadtverwaltung in La Pintana die Initiative „DIGA“ zur Kompostherstellung mit organischen Abfällen der Anwohner gegründet hat, sowie der Koch Mauricio Krippel, der die SLOWFOOD Bewegung in La Pilgua unterstützt. Ein Stuhl bleibt dabei frei für Fragen aus dem Publikum. Anne Mette, die durch den Tag führt, hat es am Ende nicht leicht, die Teilnehmenden dazu anzuhalten, nur eine Frage zu stellen.

Die rege Diskussion um den Einblick in die Praxisbeispiele wird abgelöst von Joachim Borner, der offen über Paradigmen-Wandel und die Mensch-Natur-Beziehung spricht. Der langsame Anstieg der Temperatur sei dabei nicht das eigentliche Problem des Klimawandels. Viel mehr Phänomene wie Dauerfrost in Europa oder Taifune in Thailand, die sich häufen, seien problematisch. Wenn die Temperaturen ansteigen, existiere die Möglichkeit, dass der Golfstrom aufhöre zu fließen und damit ein ganzes System kollabiere. So ein schlagartiger Kippschalter wird „Tipping Point“ genannt.

Was die Qualität dieses Chaos ausmache, sei die Ungewissheit des „Danach“. Wie sieht die Situation, das Leben danach aus?

Etwa 600 Millionen Flüchtlinge weltweit verlassen ihre Heimat aus Gründen des Klimawandels. Und in den nächsten Jahren werden es mehr. In Lateinamerika sieht Joachim Borner 400 Millionen Menschen voraus, die den Ort ihres Anwohnens ändern werden. In Deutschland erfährt das Land seit 2015 eine permanente Regierungskrise aufgrund der Flüchtlingsströme, die nicht adäquat aufgefangen werden können.

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Die Teilnehmenden diskutieren angeregt über die Praxisbeispiele.

Ein anderer bedeutender Begriff ist der „Overshoot Day“. Dieser bezeichnet eine Saldoberechnung hinsichtlich des Vermögens der globalen Natur, zusätzliche Biomasse zu produzieren. Kalkuliert wird realer Zuwachs, z.B. wie ein Fischschwarm wächst, wieviel mehr Holz in den Wäldern steht. Dem wird entgegengestellt, wieviel der Mensch davon verbraucht. 1987 wurde mit den Berechnungen begonnen. Am 31.12.1987 um 19Uhr war alles verbraucht, was im genannten Jahr produziert wurde. Die Berechnungen wurden seitdem fortgeführt. In 2016 war es der 8. August, in 2015 der 13. August. Innerhalb eines Jahres hat sich die Verbrauchsgeschwindigkeit so beschleunigt, dass schon 5 Tage eher alles verbraucht war. Jedes Jahr greifen wir mehr und mehr in die Kapitalstruktur der Natur ein, dabei haben wir nur eine Erde, verbrauchen aber mindestens zwei. Sind die Spielregeln noch korrekt? Ist das Grundmuster gesellschaftlicher Entwicklung, Wachstum anzustreben, noch wirksam?

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Joachim Borner

Das stellt Joachim Borner in Frage und leitet über zum dritten Konzept, dem der „Schwarzen Schwäne“. Es beschreibt, dass Dinge eintreten, die in ihrer Wahrscheinlichkeit des Eintretens als sehr unwahrscheinlich gesehen werden. Dazu gehört beispielsweise der Atomunfall in Fukushima, wo sich ein Erdbeben und ein Tsunami zu einer etwas gestörten Infrastruktur summierten und den GAU kreierten. Der Wandel, den der Mensch hervorgerufen hat, erhöht das Auftreten solcher Ereignisse. In der Summe wird dies Anthropozän genannt. Das Bild des Menschen als kleiner Teil der Natur ist nicht mehr zeitgemäß. Wir als Menschheit greifen aktiv in das Geschehen ein. Festzumachen ist dies zum Beispiel am weltweiten Anstieg der Radioaktivität durch zahlreiche Atomversuche.

Zwei Schlussfolgerungen:

  1. Wir haben Macht, also können wir noch intensiver als zuvor in die Natur eingreifen und problemorientiert intervenieren. Beispiel: Geoengineering, wie das Düngen von großen Ozeanflächen mit Eisenmolekülen, um Algen Ab- und Aufbau zu provozieren. Das sind Experimente, deren Komplexität wir nicht erfassen können.
  2. Suffizienz: Genügsamkeit nicht im Sinne des Verzichts, sondern der Einsicht, wie viel wirklich zum Leben benötigt wird.

Das sind westliche Konzepte. Indigene Bevölkerungsgruppen wie die Mapuche oder die Aymara haben andere Konzepte, beispielsweise das „Buen Vivir“. Aber hat die Menschheit ein Interesse daran, sich auf eine nachhaltige Entwicklung mit allen ihren diversen Bevölkerungsgruppen zu einigen?

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Welche Konzepte werden die Gruppen erarbeiten?

Letztes Jahr hat die UNO die Nachhaltigkeitsziele beschlossen. 17 Ziele mit unterschiedlichen Perspektiven die benennen, was geschehen muss, um global soziale „Tipping Points“ zu vermeiden. Dazu zählen Armutsbekämpfung oder Bildung. Die Ziele sind aber nicht sanktionsfähig, denn werden diese durch ein Land nicht erfüllt, hat dies keine negativen Auswirkungen auf das einzelne Land. Mit der Resolution die wir jetzt haben, sind alle Länder dazu verpflichtet, diese Punkte auf der Liste zu erfüllen. Damit ist Deutschland ab sofort auch ein Entwicklungsland.

Joachim Borner schließt mit der Beschreibung „Planetarischen Leitplanken“, die für uns berechneten Grenzen, um noch Kultur- und Umweltzustände zu sichern, mit denen wir leben können. Die notwendige Veränderung, die ansteht, sei ein radikaler Wandel. Und verglichen mit dem Strukturwandel in der Energiewirtschaft, weg von Atomenergie hin zu Erneuerbarer, werde der landwirtschaftliche Wandel mit noch viel schwieriger zu erreichenden Veränderungen einhergehen.

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In der Gruppenarbeit um eine Vision für 2050.

Am Nachmittag stellt jede Gruppe ihre Roadmap zur Vision 2050 vor. Danach wird das Wissen um Schlüsselelemente für die Entwicklung eines Theaterstücks von Experten der Filmschule in Santiago de Chile in einer Session an die Gruppe gegeben. Hinsichtlich der am Freitag zu präsentierenden Visionen sind die gewonnenen Erkenntnisse hilfreich bei der Entwicklung einer anschaulichen Vorführung.

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