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„Neben uns die Sintflut“: Wie können nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster in Deutschland und Europa gefördert werden? (SDG 12)

Die Anforderungen an die deutsche und europäische Politik zur Förderung nachhaltiger Konsum- und Produktionsmuster sind gewaltig. Denn in globalisierten „Externalisierungsgesellschaften“ (Lessenich, 2016) ist so gut wie jedes Produkt Teil einer komplexen Wertschöpfungskette, die auf der Logik des Outsourcings und damit der Ausbeutung von Mensch und Natur zum Sonderpreis beruht. Solang nicht nachhaltige Produkte und Produktionsprozesse deutlich günstiger verfügbar sind als nachhaltige, greift ein politischer Glaube an ethischen Individualkonsum zu kurz. Deutlich effektiver wäre eine umfassende Umstrukturierung finanzieller und steuerlicher Anreizsysteme zur Förderung einer gemeinwohlorientierten Produktion und Konsumption.

Internalisierung von sozial-ökologischen Kosten als Schlüssel

Warum konsumieren die meisten Menschen in Europa nicht nachhaltig? Platt gesagt: Weil es uns auch nicht gerade leicht gemacht wird. Ausgiebige Nährstofflisten und „Made in China“-Labels vermitteln uns den Anschein, zu wissen, woher unsere Produkte stammen und unter welchen Bedingungen sie produziert wurden. Dennoch bleibt ein Großteil der sozial-ökologischen Kosten für Konsument*innen im Verborgenen bzw. kann leicht ignoriert werden, insbesondere, wenn sie weder im eigenen Land verursacht werden noch sich im Endpreis niederschlagen. Ganz im Gegenteil – der in Massenproduktion, aus EU- und Nicht-EU-Ländern hergestellte Honig ist sogar  dreimal so billig wie der Stadtbienenhonig vom Marktstand um die Ecke.

Unter diesen Umständen die Entscheidung für nachhaltigen, teureren Konsum dem/r einzelnen Konsument*in zu überlassen, halte ich angesichts der Dringlichkeit der globalen Umwelt- und Klimakrise und wachsenden sozialen Ungleichheiten für grob fahrlässig. Erst, wenn ein sozial-ökologisch verträgliches Produkt genauso viel oder weniger kostet als das unverträgliche, ist nachhaltiger Konsum auf breiter gesellschaftlicher Ebene möglich. In der Praxis bedeutet das: Unternehmen sollen für die sozial-ökologischen Kosten, die sie im Wertschöpfungsprozess verursachen, finanziell aufkommen, während sie für den sozial-ökologischen Nutzen, den sie bringen, finanziell belohnt werden. In der Gesamtrechnung würde dies dazu führen, dass nachhaltige Produkte günstiger werden als nicht nachhaltige Produkte.

Wirtschaftspolitik gemeinwohlorientiert ausrichten

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Die Gemeinwohlmatrix berechnet gesellschaftliche Kosten und Nutzen eines Unternehmens anhand fünf ethischer Dimensionen. Quelle: Gemeinwohlökonomie

 

Gleichzeitig sollten Subventionen, steuerliche und rechtliche Vorteile (z.B. bei der Kredit- und Auftragsvergabe, öffentlichen Beschaffung) für Großkonzerne in allen Branchen abgebaut werden, denn sie sind es, die den Großteil der sozial-ökologischen Kosten verursachen. Dies auch noch politisch zu fördern, ist absurd. Mit den daraus freiwerdenden Ressourcen sollte auf die gleiche Weise regionale, kleinteilige Produktion gefördert werden. Dies würde die Entstehung regionaler Wirtschaftskreisläufe mit weniger Transportwegen und direkteren, solidarischeren Handelsbeziehungen befördern und wäre somit ein langfristiger, struktureller Beitrag zu nachhaltigeren Produktions- und Konsummustern. Die Gemeinwohlökonomie-Bewegung (GWÖ) bietet z.B. mit der eigens entwickelten „Gemeinwohlbilanz“ einen spannenden Ansatz zur Berechnung der sozial-ökologischen Kosten und Beiträge eines Unternehmens an die Gesellschaft.[1]

Kreislaufwirtschaft als Produktionsmaßstab der Zukunft

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Die Prinzipien einer Kreislaufwirtschaft vom Produktdesign bis zum Recycling. Quelle: Ellen MacArthur Foundation

 

Zudem sollten Unternehmen im Sinne einer Kreislaufwirtschaft[2] und Verlängerung der individuellen Nutzungsdauer in einem bestimmten Zeitrahmen dazu verpflichtet werden, ihre Produkte so zu designen, dass sie möglichst lange halten und (von Nutzern oder vom Unternehmen) repariert werden können. Auch sollte jedes Einzelteil nach der Nutzung wieder in den Stoffkreislauf eingebracht und wiederverwertet werden können. Flankierend könnten Forschungs- und Entwicklungsprogramme im Bereich Kreislaufwirtschaft gefördert und Anreize für Konsument*innen geschaffen werden, ihre Produkte reparieren zu lassen statt neu zu kaufen. Auch das Thema Lebensmittelverschwendung sollte durch entsprechende Gesetze und Anreizsysteme auf der Produzenten- und Konsumentenebene adressiert werden (z.B. durch eine Verpflichtung zur Verarbeitung von nicht normgetreuem Obst und Gemüse; zum Verkauf fast abgelaufener Produkte zum niedrigeren Preis; zur Lockerung des MHDs).

Menschenrechte gelten weltweit – auch für Unternehmen

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Multinationale Konzerne lassen ihre Produkte gern dort herstellen, wo die Arbeitsbedingungen schlecht und Löhne niedrig sind, wie hier in Bangladesch. Quelle: Ver.di / ©Mustafa Quraishi

 

Ein weiterer wichtiger Schritt zur Förderung nachhaltiger Produktions- und Konsummuster wäre die verbindliche Verankerung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte[3] in nationalem Recht, inkl. wirkungsvoller Sanktionsmechanismen. Die UN-Leitprinzipien verpflichten Unternehmen und Staaten, menschenrechtliche Risikofaktoren in ihrer Lieferkette zu identifizieren; Maßnahmen zu ergreifen, um diese Risikofaktoren abzustellen und konkret Abhilfe zu leisten, wenn es zu Menschenrechtsverletzungen kommt (z.B. in Form von Entschädigungszahlungen). Der Nationale Aktionsplan der Bundesregierung (2016) [4] hat dazu eine erste rechtliche Grundlage geschaffen, die allerdings weit hinter den Erwartungen zurück blieb und Unternehmen und Staaten noch viel zu viele Spielräume und Schlupflöcher lässt.[5]

 

Quellen:

[1] Die Gemeinwohlökonomie (GWÖ). https://www.ecogood.org/de/gemeinwohl-bilanz/

[2] Ellen Mac Arthur Foundation (n.d.). Circular Economy. https://www.ellenmacarthurfoundation.org/circular-economy

[3] UN Global Compact (2014). Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. https://www.globalcompact.de/wAssets/docs/Menschenrechte/Publikationen/leitprinzipien_fuer_wirtschaft_und_menschenrechte.pdf

[4] Auswärtiges Amt (2016). Nationaler Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte. http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Aussenwirtschaft/Wirtschaft-und-Menschenrechte/Aktuelles/161221_NAP_Kabinett_node.html

[5] CorA-Netzwerk (2017). Kein Mut zu mehr Verbindlichkeit. http://www.cora-netz.de/cora/wp-content/uploads/2017/03/2017-02-06_CorA-ForumMR-VENRO_NAP-Kommentar_%C3%BCberarb.pdf

Weiterführende Literatur:

Brand, U., & Wissen, M. (2017). Imperiale Lebensweise. München: oekom Verlag.

Felber, C. (2012). Gemeinwohlökonomie. Wien: Deuticke Verlag.

Giegold, S. & Embshoff, D. (2008). Solidarische Ökonomie im globalisierten Kapitalismus. Hamburg: VSA Verlag.

Lessenich, S. (2016). Neben uns die Sintflut. Die Externalisierungsgesellschaft und ihr Preis. Berlin: Hanser Verlag.