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Anthropocene Lecture mit Bruno Latour und Hans-Joachim Schellnhuber

Am 04. Mai 2018 war der Soziologe Bruno Latour zu Gast in den Anthropocene Lectures im Haus der Kulturen der Welt in Berlin. Gerade ist sein Buch „Das terrestrische Manifest“ erschienen. Seinen Entwurf einer „terrestrischen Politik“ diskutierte Latour im Anschluss mit Hans-Joachim Schellnhuber, Begründer und Direktor des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung (PIK). So war es jedenfalls geplant.

Bruno Latour entwickelt in „Das terrestrische Manifest“ seine Auseinandersetzung mit dem „Klimaregime“, wie er es nennt, weiter. Was meint er damit? In seinem Buch „Kampf um Gaïa. Acht Vorträge über das neue Klimaregime“ (2017) steht: „Mit diesem Begriff fasse ich die genenwärtige Situation zusammen, in der der physische Rahmen, den die Modernen als gesichert erachtet hatten, der Boden, auf dem ihre Geschichte sich immer abgespielt hatte, ins Wanken geraten ist“ (Seite 16). Es geht ihm also um eine grundlegende Kritik an der Moderne (er ist der Autor des berühmten Buches „Wir sind nie modern gewesen“). Die Klimaskeptiker, von denen „in Kampf um Gaïa“ oft die Rede ist, sind diejenigen, die die Moderne ohne Rücksicht auf ihre Mitmenschen und die Erde zu einem glorreichen Ende ihrer Alleinherrschaft führen wollen.

Bruno Latour, Copyright Manuel Braun

Latour ist Wissenschaftler. Die deutschen Titel seiner letzten Bücher führen da etwas in die Irre. „Das terrestrische Manifest“ heißt im Original „Où atterrir? Comment s’orienter en politique“. Eine solche Übersetzung ist durchaus problematisch, weil ein Manifest eine bestimmte Textsorte ist und Latours Buch entspricht nicht wirklich dieser Textsorte. In seiner Lecture beweist Latour Humor, als er auf diese Übertreibung des Suhrkamp Verlages reflektiert. Das gleiche gilt für den Titel „Kampf um Gaïa“. Im Original heißt es „Face à Gaïa“. Selbst wer nicht der französischen Sprache mächtig ist, wird den Unterschied erkennen. Latour wird also zum Kämpfer für die Erde (Gaïa) stilisiert, dessen neueste Schrift als Manifest die Welt verändern soll. Ist das möglich? Vermutlich nicht. Aber nach der Veranstaltung strömten nicht gerade wenige, vor allem junge Frauen, nach vorne, um sich ihr Exemplar seines Buches signieren zu lassen. Er ist ein Star auf der Bühne der Wissenschaft, keine Frage.

Und was er zu sagen hat, ist fundamental. Es ist nicht gerade leicht zu verstehen, zugegeben. Das gilt vor allem für „Kampf um Gaïa“. Dafür wurde er auch kritisiert. Aber „Das terrestrische Manifest“ ist eher populärwissenschaftlich geschrieben. Latour kann Schreiben. Er ist in der Lage, seine eigene Forschung als Wissenschaftskomunikation zu formulieren. Latour schreibt in seinem Buch viel von Donald Trump. Dessen Name wollte er in seiner Lecture ebenso wenig aussprechen, wie im Harry Potter Universum der Name Voldemort vermieden wird. Ist Trump das absolute Böse? Ihn interessieren die Menschen außerhalb der USA jedenfalls nicht. „Unsre Geschichte wird mit eurer nichts mehr zu tun haben; geht zum Teufel“ (S. 12) legt Latour Menschen wie Trump in den Mund. Das ist schon böse. Den Menschen, die zum Teufel gehen sollen, sind so perplex, dass sie nicht zu reagieren wissen, ihnen wird der Boden unter den Füßen weggezogen, ein Bild, das Latour gerne benutzt. Überhaupt lässt sich von Latour lernen, welche Metaphern wir verwenden können. So schreibt er etwa: „Wenn man Ihnen den Teppich unter den Füßen wegzieht, begreifen Sie sofort, dass Sie sich um Fußbodenbelag kümmern müssen“ (S. 17). Aber kommt es vielen nicht eher auf diejenigen an, die ihnen den Teppich wegezogen haben, erkennen dann, dass diese „Eliten“ unantastbar sind und geben auf? Darüber wäre nachzudenken, wenn Latour davon spricht, und das ist ein zentraler Ansatz seines Buches, dass die Eliten die Globalisierung, die einmal Vielfalt bedeutete, so verstehen, dass ihre spezifische Sicht sich durchsetzt, eine Sicht, die, so Latour, zutiefst provinziell ist, weil sie von wenigen Menschen vorgeschlagen wird und eine winzige Zahl von Interessen repräsentiert.

Was Trump vertritt und die reichen Eliten helhhörig werden lässt, bezeichnet Latour als das „Außererdige“, eine politische Erfindung, die eine neue Attraktion (attractor) jenseits des Lokalen (Attraktor 1) und des Globalen (Attraktor 2) markiert. Die Erde spielt darin keine Rolle mehr. Latour bringt nun einen weiteren Attraktor ins Spiel, den er zwischen dem Lokalen und dem Globalen positioniert. (insofern stimmt es nicht, was Hannah Bethke in der FAZ schreibt,  dass Latour für eine Rückbesinnung auf das Lokale plädiere). Dieser Attraktor ist das Terrestrische, ein neuer Blick auf die Erde, der ihr den Status eines Subjekts zuweist, mit dem wir zu interagieren haben. Nicht mehr passive Natur, sondern Akteur im Sinne der von Latour begründeten Akteur-Netzwerk-Theorie.

Dieser Ansatz sollte im Anschluss im Gespräch mit Hans-Joachim Schellnhuber diskutiert werden. Hier geschah aber Merkwürdiges. Schellnhuber ergriff das Wort und hörte lange Zeit nicht mehr auf, ganz als müsse er die Redezeit Latours aufholen. Ups! Was spielte sich denn da ab? Warum glaubte Schellnhuber wiederholt auf die Zahl seiner Paper hinweisen zu müssen und dass er in Oxford unterrichtet? Hat er das nötig? Gewiss nicht. Er hat es auch nicht nötig, ins Publikum zu fragen, ob es wisse, wer Karl Marx ist, der heute 200. Geburtstag hat. Somit verpasste er die Chance, dem Vortrag Latour eine brillante Diskussion folgen zu lassen. Immerhin gelang es Latour, auf Schellnhubers mithin auch süffisantes Verhalten, angemessen ironisch zu reagieren.

Hans-Joachim Schellnhuber, Copyright PIK Batier

Dann kam es aber doch noch ein bisschen zur Diskussion. Und als Latour seinen Gesprächspartner fragte, wie denn die Kunst dazu beitragen könne, dass der Klimawandel ernster genommen wird, war die Hoffnung groß, jetzt neue Einsichten zu diesem Thema zu erhalten. Doch Schellnhuber erzählte erneut von Oxford und dass er dort bedeutende Künstler getroffen habe. Gähn! Am Ende kam er dann nochmal auf die wichtige Funktion von Narrationen und Narrativen zu sprechen. Aber dabei blieb es auch. Narrationen und Narrative sind wichtig. Welche das sein könnten, wurde einmal mehr verschwiegen.

Ich habe mittlerweile, und damit will ich abschließen, den Verdacht, dass in der Rede von Narrationen und Narrativen als Mittel der Nachhaltigkeitskommunikation nur wenig Substanz ist. Wenn Vorschläge gemacht werden, so höre ich, dass Heldengeschichten erzählt werden sollten. Dabei wird sich mit einem teilweise erschreckenden Halbwissen sogar auf das Heldenreisenmodell bezogen. Die Heldenreise, das muss mal deutlich gesagt werden, ist ein normatives Modell des Erzählens im Hollywoodkino, das in den 1970 er Jahren gleichzeitig mit dem Blockbusterkino entstand und nicht zuletzt die Funktion der Gewinnmaximierung dient, weil man ein großes globales Publikum erreichen kann. Wenn die nachhaltige Entwicklung, wenn die Sustainable Development Goals und die planetarischen Leitplanken, um ein paar Beispiele zu nennen, komplexe Objekte sind, die vor allem komplexe Vernetzungen aufweisen, dann kommen wir mit einer extremen Komplexitätsreduktion wie in der Heldenreise, wo mit ökonomisch effektiv schablonenhaften narrativen Elementen gearbeitet wird, bestimmt nicht voran. Werfen wir doch endlich den Blick auf komplexe Narrationen und narrative Strategien.

Thomas Klein

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