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Das Ende der Welt wie wir sie kannten – oder: Eine Zukunft für alle

Bitte eintreten: Hier geht es in die Zukunft; © V. Thielemann

Die Weichen sind gestellt: Die Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen zeichnen eine zukünftige Welt, die unser heutiges Leben in allen Bereichen revolutionieren wird. Doch – wie genau werden wir in dieser Welt wirtschaften, arbeiten und konsumieren? Dieser Beitrag wagt mit dir den Schritt in deinen zukünftigen Alltag.

Ein Beitrag von Isabell Rauscher, Vanessa Thielemann und Alex Wernke

Wir befinden uns im Jahr 2030. Ein gutes Leben für alle, Arbeiten um zu Leben, Produzieren für die persönlichen Bedürfnisse – unser zentrales neues Wirtschaftsparadigma haben wir bereits tief verinnerlicht.

Bis vor wenigen Jahren noch haben wir in einem krassen Widerspruch zu unseren Bedürfnissen und unseren Lebensgrundlagen gelebt: Immer mehr Produzieren, Konsumieren, Wachsen stand im Mittelpunkt der damaligen Gesellschaft. Wir erzählten uns, dass nur ein permanentes möglichst großes Wirtschaftswachstum Wohlstand für alle und eine funktionierende Wirtschaft ermöglichen könnte. Höhere Gewinne und Renditen, größere Investitionen und Expansion, Exportsteigerungen und neue Absatzmärkte, neue innovative immer kurzlebigere Produkte und schnellerer Konsum waren unser Mantra, unsere Droge, unsere verinnerlichte Ideologie.

Doch Vieles hat sich seitdem geändert. Heute arbeiten wir selbstbestimmter und gelassener. Viele Menschen sind in gut bezahlten und entlasteten Bildungs-, Gesundheits- und Pflegejobs beschäftigt. Durch die vorherrschende 25-Stunden-Woche können Menschen Zeit für soziales und politisches Engagement, Hausarbeit und Familie miteinander vereinbaren. Sinn, Selbstbestimmung und Solidarität stehen im Mittelpunkt der Arbeitswelt. Wir wirtschaften für das Gemeinwohl, also für eine bessere öffentliche Gesundheitsversorgung, saubere Luft, gute Bildung, Verringerung der Ungleichheit, ja wir arbeiten für ein gesundes und erfülltes Leben für uns und die zukünftigen Generationen.

Nachdem insbesondere mit der rasanten Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Dynamik der Globalisierung enorm zugenommen und die rund um den Globus verschickten Güter ein bedenkliches Ausmaß angenommen hatten, besinnen wir uns heute wieder mehr auf die Produktion und den Handel lokal produzierter Güter. Denn vor einigen Jahren haben wir erkannt, dass die damalige Globalisierung zu oft von Interessen internationaler Konzerne und neoliberaler Politiker*innen dominiert war. Aktiengesellschaften stellen heute nicht mehr den Shareholder Value in den Mittelpunkt, sondern orientieren sich am Sustainability Value, der nun durch die vor fünf Jahren eingeführte hohe CO2-Bepreisung und der statt des BIP zu berücksichtigenden Ökosystemleistungen und sozial-kultureller Parameter handlungsleitend ist.

Die heutigen transnationalen Organisationen existieren nur noch in Bereichen, in denen Netzwerkeffekte für das Gemeinwohl eine Rolle spielen, etwa im Bereich der Energieversorgung aus regenerativen Energien, der Medizin oder der Telekommunikation. Es existieren immer noch große urbane Zentren als Hubs, also Knotenpunkte des weltweiten Wissensaustauschs und auf das Nötige beschränkten Handels. Doch leben und arbeiten viele Menschen dort nicht mehr dauerhaft, was die vielfältigen Überlastungserscheinungen und schlechten Lebensbedingungen der Vergangenheit beendet hat. Wir reisen lediglich zu besonderen Gegebenheiten in die Hubs, und leben ansonsten in Klein- und Mittelstädten sowie ländlichen Regionen. Dort kann der Lebensunterhalt aufgrund kooperativer Wirtschaftsweisen und neuer Subsistenzmodelle sowie der Vernetzung durch die Informations- und Kommunikationstechnologie gut bewerkstelligt werden.

Auch werden heute weltweit moderne naturnahe Bauweisen angewendet, die auf seit Jahrtausenden bewährtem Lehm-, Strohballen- und Holzbau beruhen. Vermeintlicher „Low-Tech“ ist dabei verknüpft mit neuesten Steuer- und Regelungstechnologien.

Uns ist es auf dem Weg hin zur heutigen Postwachstumsökonomie also gelungen, die Errungenschaften der modernen Technologien und die Chancen der Digitalisierung mitzunehmen ohne dabei gänzlich “abzuheben”. Wir haben sozusagen “das Beste beider Welten” miteinander vereint. Die ursprüngliche Angst vor einer “Verrohung” der Gesellschaft durch zunehmende Digitalisierung hat sich glücklicherweise nicht bestätigt. Dennoch verlief diese Entwicklung nicht konfliktfrei. 

Doch durch unsere heutigen Strukturen der direkten Demokratie ist es mittlerweile sehr einfach und niedrigschwellig möglich, eigene Ideen und Ansätze einzubringen. In die diskutierten Fragestellungen fühlt sich ein Großteil der Gesellschaft aktiv miteinbezogen und macht mit. Das liegt unter anderem auch daran, dass die Strukturen sehr viel kleiner sind, und von lokaler Ebene aus globale regionenübergreifende Fragen diskutiert werden.

Monotone Arbeiten werden mittlerweile zum Großteil durch Künstliche Intelligenz ersetzt. Das hat viele positive Veränderungen für das Zusammenleben zur Folge, aber anfangs besonders bei älteren Menschen Angst ausgelöst. Die  können sich noch an früher erinnern, wo viele von ihnen in sogenannten “Altenheimen” untergebracht und von der immer schnelleren Welt abgehängt und vergessen wurden. Heute gibt es stattdessen viele Menschen, die sich Zeit nehmen und versuchen, ihnen die großen technischen Entwicklungen und gesellschaftlichen Veränderungen zu erklären. Und das gilt auch andersrum: Noch zu Beginn der 2000 Jahre drohte der gesamte Wissensschatz der Älteren innerhalb von nur einer Generation zu verschwinden. Heute hingegen ist das Wissen der Älteren, ob ein guter Tipp zum Gemüseanbau, Erfahrung mit handwerklichen Traditionen oder schlicht ein Rat voll Lebenserfahrung gefragter denn je. Und die Älteren schmunzeln: “Was würden die wohl ohne uns machen?!”

Auf unserer Reise durch die Zukunft begegnen wir auch Anna. Sie ist ein echtes Jahrtausendkind, geboren im Jahr 2000. An ihrem 30. Geburtstag vor zwei Tagen hat sie die rasanten Veränderungen ihres Alltagslebens in den letzten Jahren festgehalten.

13. Juli 2030

Was hat sich alles verändert in meinem Leben? Ich glaube das Wichtigste, was ich gewonnen habe, seit ich mich bezüglich meines Konsums auf das Wesentliche beschränke, ist: Zeit. Ich kann mich noch erinnern, wie ich früher, neben der anstrengenden 40-Stunden-Woche in der Firma, meine Freizeit damit verbrachte, günstige Angebote zu vergleichen, immer auf der Jagd nach dem perfekten Schnäppchen. Das beste Smartphone, die angesagtesten Klamotten, die neusten und angeblich wirkungsvollsten Methoden und Kurse zur Selbstoptimierung. Auch die Pflege meiner Social Media Profile, damit sie für andere interessant sind, kostete mich unglaublich viel Zeit. Und da ja alle mit diesen Dingen beschäftigt waren, blieben wirklich erfüllende Zusammenkünfte ziemlich auf der Strecke.

Ich erinnere mich, dass es schon in meiner Kindheit und Jugend viele Menschen und Projekte gab, die sich mit einer anderen, nachhaltigeren Lebensweise beschäftigten. Auch an den Universitäten wurde zu diesen Themen geforscht. Im Jahr 2015 verabschiedeten die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen die Agenda 2030 mit den Sustainable Development Goals, was als großer Erfolg gesehen wurde. Denn diese 17 Ziele nahmen auch die Industrieländer in die Pflicht, tiefgreifende Veränderungen in ihrer Wirtschafts- und Lebensweise vorzunehmen. Und trotzdem passierte nichts, was die Dinge wirklich änderte, im Gegenteil es häuften sich Katastrophenmeldungen, Dürren, Waldbrände und Starkwetterereignisse. Der CO2-Ausstoß und Verbrauch von Rohstoffen stiegen immer weiter an.

Die Welt musste erst noch einmal nach der Finanzkrise 2008 und den verheerenden Folgen in eine weitere weltumspannende Krise hineinschlittern. Ende 2019 breitete sich in hoher Geschwindigkeit das neuartige Coronavirus aus, die WHO rief eine globale Pandemie aus. Es folgte weltweit ein beispielloser gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Shutdown: Das öffentliche Leben wurde stillgelegt, die Wirtschaft heruntergefahren, Flugzeuge, Züge, Autos standen still, Fabriken und Geschäfte wurden geschlossen. Danach standen viele Menschen noch schlechter da als in den Jahren nach der Finanzkrise 2008. Und doch begann genau hier eine tiefgreifende Veränderung: Viele Menschen realisierten, dass unser damaliges Wirtschaftssystem und sie selber hochgradig verwundbar waren. Sie erlebten auch die große Solidarität ihrer Mitmenschen in der Krise und dass es möglich ist, dass die ganze Gesellschaft, von der Wissenschaft geleitet, geschlossen auf ein gemeinsames Ziel hinarbeitet, in diesem Fall die Verhinderung eines überlasteten Gesundheitssystems und der Schutz der Schwächsten. Und sie erlebten, wie viel Ressourcen mobilisiert werden können, wenn die Politik, die Wirtschaft, die gesamte Gesellschaft schnell und konsequent handeln will.

Danach war nichts mehr wie vorher. So startete zum Beispiel eine Gruppe aus Wissenschaftler*innen, NGOs, Bürgerinitiativen und Regionalpolitiker*innen aus dem Lockdown heraus die digitalen Klimakultur-Sessions. Sie waren aufgrund ihrer informativen und interaktiven Gestaltung schnell ein großer Erfolg. Nach dem Lockdown wurden sie auf kommunaler Ebene analog als regelmäßige Treffen fortgeführt, um über die Werte einer zukünftigen klimaneutralen Gesellschaft zu sprechen und gemeinsame Lösungen zu erarbeiten. Die Medien begleiteten diesen Prozess fortlaufend und transparent, so dass alle wussten, was es bedeutet, CO2-neutral zu leben und zu wirtschaften und welche Handlungs- und Verhaltensweisen dafür hilfreich und zielführend sind. So entstand ein bisher nicht gekanntes Ineinandergreifen von partizipativen Bottom-Up- und Top-Down-Prozessen, das den tiefgreifenden Umbau der Infrastrukturen hin zu einer CO2-neutralen Gesellschaft überhaupt erst ermöglichte.

Gemeinsam geht es besser; © V. Thielemann

Über die gemeinsame  Suche nach Alternativen sind viele Menschen Expert*innen und Freund*innen geworden. Zusammen haben wir erkannt: Wir wollen die Welt um uns herum aktiver mitgestalten, solidarischer und unabhängiger leben. So haben wir gelernt, fast alle Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände um uns herum selber zu produzieren und zu reparieren.

Ich arbeite einen Tag die Woche auf dem Feld unserer solidarischen Erzeugergenossenschaft; von der Aussaat bis zur Ernte lerne ich die Jahreskreisläufe und landwirtschaftlichen Abläufe kennen. Ob Kartoffeln oder Bier, Zitronen, Buchweizen oder Brötchen, wir produzieren das meiste unseres Essens selber oder wirken mit. Und nicht nur das: Meine Zimmermöbel habe ich selber gebaut, mit kommunalem Holz aus dem Wald der Gemeinde, mit leicht verständlichen Open-Source-Konstruktionsplänen, mit Werkzeug aus unserem Nachbarschaftskontor. Ich weiß, wie ich ein E-Bike auseinanderbaue und repariere und wie ich defekte Festplatten austausche. Regionale Produktion, partizipative Landwirtschaft, transparente Open Source Programme und Repair-Cafes sind allgegenwärtig. Sie drücken das aus was mir wichtig ist: Nicht passiv kaufen und bestellen, sondern eigene Fähigkeiten und Lösungen entwickeln und gestalten, im Kleinen und im Großen, alleine und in Gemeinschaft, so wie es für meine Bedürfnisse und der Menschen um mich herum passt.

Meeting der kreativen Köpfe; © V. Thielemann

So wie ich mein Leben gestalte, so gestalten sich mittlerweile auch immer mehr Unternehmen, heute Kollaborationen. Allgemein ist der Übergang zwischen “meiner Welt” und der “Kollaborationswelt” sehr fließend. Viele Freund*innen von mir haben schon die ein oder andere Idee umgesetzt, teilweise auch in Form von selbst gegründeten Kollaborationen. Dabei steht immer ganz oben die Frage, welchen gesellschaftlichen, kulturelle, sozialen und ökologischen  Nutzen diese Idee oder die Kollaboration hat. Es wird nur das umgesetzt und produziert, was gebraucht wird. Die Kommunikation zwischen den kreativen Köpfen, den Umsetzenden und der potenziellen Nutzer*innengruppe ist ein wesentlicher Bestandteil, wenn es um die genaue Ausgestaltung dieser Idee geht.

Zentral sind dabei Fragen wie: Stehen gesellschaftliche Kosten und Nutzen im Verhältnis? Nehmen wie den notwendigen Ressourcenverbrauch dafür in Kauf? Gibt es smartere, effizientere Alternativen? Und: Brauchen wir das wirklich? Kollaborationen, die mit der Gesellschaft nicht klar und transparent von Anfang an kommunizieren, haben kaum eine Chance. Denn die Frage nach dem Ressourcenverbrauch ist mittlerweile “en vogue”. Dieser “Trend” durchzieht alle gesellschaftlichen Milieus und ist entscheidend, wenn es um Kollaborationen und Produkte geht. Das aktive Mitgestalten hat auch die Unternehmensstrukturen verändert: Viele Kollaborationen sind mittlerweile lokal und dezentral strukturiert und teilweise auch sehr regionsspezifisch. Bei uns haben wir wechselnde Verantwortlichkeiten, die auch sehr stark von unseren persönlichen Interessensgebieten und Fähigkeiten abhängen. Noch vor ein paar Jahren hatten wir im damaligen Unternehmen darüber sehr schwierige Diskussionen, dem Management fehlte die Vorstellungskraft, dass das funktionieren kann. Und dass es jetzt funktioniert liegt an den Kollaborationsstrukturen, die wir uns selber geschaffen haben. Dafür war viel Mut und eine gesunde Portion Vorstellungskraft erforderlich. Und ein zentraler Auslöser, die Corona- und Wirtschaftskrise vor mittlerweile 10 Jahren, die einiges in Bewegung gebracht hat. 

Dass die Welt vor 10 Jahren noch ganz anders funktioniert hat als heute – das wirkt für mich wie ein Film aus längst vergessenen Zeiten…