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Nachhaltigkeit, die Zähne zurück geben

Vereinzelte Handlungsfelder unter dem Deckmantel der Nachhaltigkeit zu vereinfachen, suggeriert einen Konsens den es zu wenig und verschleiert Konflikte, die es zu Genüge gibt. So spricht auch der Rat für nachhaltige Entwicklung (RNE) in seiner beratenden Funktion von einer Wortwolke. Der Begriff läuft nämlich Gefahr, zum beliebigen Füllwort zu werden, mit dem sich alles beschreiben lässt, was irgendwie irgendwann mal besser, grüner und gerechter werden soll. Die Erkenntnis, dass nachhaltige Politik und Lebensweisen keine Luxusprodukte sind, kein Lifestyle-Accessoire, sondern pure Notwendigkeit, hat sich bisher nicht nur in gesellschaftlichen Sphären zu wenig festgesetzt. Auch in der Politik wird noch größtenteils der Versuch unternommen, das Immer-Weiter-So mit grünem, erneuerbarem Anstrich zu verkaufen. Doch woran liegt das? Und vor allem – wie können wir das ändern?

“Wie bekommen wir Nachhaltigkeit in die zentralen politischen Debatten hinein?“ ist eine solcher Fragen, die sich zunehmend viele Menschen in Politik, Wissenschaft und Wirtschaft stellen. Denn obwohl die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie international für Aufmerksamkeit sorgt, indem sie eine der ersten Umsetzungsansätze der 2015 im Pariser Klimaabkommen und der Sustainable Devolopment Goals (SDGs) vereinbarten Zielvorgaben darstellt, wird schnell deutlich, dass sie als gesamtgesellschaftliche Aufgabe nach wie vor nicht die nötige politische Durchschlagkraft inne hat. Eine konsequente Einbettung relevanter Bereiche in die Metastruktur politischen Handelns scheitert aber nicht zuletzt nur an der mangelnden Mehrheitsfähigkeit dieser Themen auf der großen Politikbühne unseres parlamentarischen Systems, sondern auch an der bisherig unzureichenden Bereitschaft der Gesellschaft, sie auf eben diese Bühne zu heben. Die Diskrepanz zwischen Handeln und Wissen ist also sowohl ein gesamtgesellschaftliches, wie auch individuelles Problem.

Doch wie kann es gelingen, Nachhaltigkeit als Metathema resonanzfähiger zu vermitteln? Ein Aknüpfungspunkt dabei könnte der Zusammenhang zwischen Nachaltigkeit und Fluchtmigration sein, da die Krise im Umgang mit geflüchteten Menschen in Europa bereits eines der resonanzstärksten Themen der letzten Jahre darstellt. Denn es ist nicht nur die Nicht-Nachhaltigkeit politischer Strukturen in vielen Ländern des Globalen Südens sondern eben die nicht-nachhaltigen Produktions-, Konsum-, Arbeits- und Lebensstilmuster in den sogenannten entwickelten Ländern des Globalen Nordens, die zusammengefasst als imperiale Lebensweisen (Stephan Lessenich) weder ökologisch noch ökonomisch verallgemeinerungsfähig sind. In diesem Zusammenhang sei der geflüchtete Mensch laut Lessenich ein verkörperlichter Ausweis weltgesellschaftlicher Zusammenhänge. Der Bevölkerung diese funktionalen Verkoppelungen aufzuzeigen und das globale Tauschungleichgewicht, das zwischen den Hemisphären liegt, zu vermitteln, könnte demnach eine Sensibilisierung für nachhaltigere Wirtschafts- und Lebensweisen erzeugen.

Es scheint sich allerdings allmählich etwas zu ändern, etwas, das nicht nur von Aktivist*innen der Postwachstumsbewegung vertreten wird, sondern zunehmend auch auf größeren Konferenzbühnen von Wissenschaft und Politik resoniert: Die Erkenntnis, dass es keine nachhaltig entwickelten Länder auf diesem Planeten gibt. Und nachhaltige Praktiken nur daraus entstehen können, wenn das Bewusstsein dafür, in ein Bewusst-Sein auf kollektiver wie individueller Ebene verwandelt wird.

Ein Werkzeug hierfür könnte das Konzept der planetaren Leitplanken sein – den Handlungsspielraum der Menschheit in seinen sozialen und biophysischen Grenzen wahrnehmen zu lernen. Das Planetary Boundary-Konzept wurde erstmals 2009 in einer Studie präsentiert (Vgl. Rockström et. al. 2009) und setzt neun planetare Leitplanken-Indexe fest, deren Stabilität für das menschliche und planetare Wohlergehen innerhalb eines safe operating spaces gewährleistet werden müssen. Derzeit haben wir vier der neun Belastungsgrenzen überschritten.

SGD:PL

Es geht dabei darum, die Konzepte zu re-framen, also die Rahmenbedingungen der Vermittlung neuzukonzipieren, damit sie in Mainstreaming-Prozessen gesellschaftsfähiger aufgenommen werden können. Dabei wird schnell klar: Es mangelt weder an Ressourcen, noch an Wissen, sondern das größte Problem liegt in der Kommunikation, denn: Wörter und Bilder sind eben genau solche Rahmen – Projektionsflächen und Metaphervorlagen, die in der kollektiven Wahrnehmung das Verständnis über und das Interesse für komplexe Themen strukturieren und greifbarer machen können.

oxfam doughnut.png

So auch im Falle des Oxfam-Doughnut von Kate Raworth – eine simple kreisförmige Illustration mit einem Loch in der Mitte, um die planetaren Grenzen auf der Außenseite, die sozialen Grenzen auf der inneren Seite und den Zwischenbereich als sicheren und gerechten Handlungsspielraum für die Menschheit zu vermitteln. Auch die Übertragung dieses Sinnbildes auf die 17 SDGs kann eine sinnvolle Ergänzung sein, um die Verbindungen und gegenseitigen Abhängigkeiten der Ziele aufzuzeigen. Und vorallem ein Gefühl dafür zu vermitteln, was für ökologische Ökonomen seit Jahrzehnten Kernbestand ihrer Arbeit ist: Dass alles menschliche Handeln, alle Konsum- und Produktketten – kurz: die gesamte Sozial- und Wirtschaftssphäre – ihren Ursprung in der Natur hat. Und diese zunehmend an ihre Belastungsgrenzen gerät.

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Dieser Artikel erschien zuerst in längerer Fassung beim transform Magazin – Das Magazin fürs Gute Leben (http://bit.ly/2s3vVpI)