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J. Borner | Abschied von Heidrun Heidecke

Brief an meine Freundin Heidrun Heidecke zu ihrem Weggang

Mensch Heidrun,

da werden Arschlöcher 90 und mehr. Und Du sagst uns – Ciao mit sechzig – und lässt uns mit dem Krempel und der Entsorgung des Kapitalismus (oder wie die „Große Transformation“ heißt) allein. Das ist nicht fair.

Weißt Du noch, wie wir zusammen an der Idee des Industriellen Gartenreiches arbeiteten? Das war mitten in den Abrissarbeiten der Bitterfelder Chemiebetriebe die Suche nach einer Zukunft in diesem geschundenen Landstrich. Geschunden waren der Boden und das Wasser in ihm. Hundert Meter tief umgestülpt, die saure Erde nach oben und den Humus zur Exekution in die Tiefe, die unterirdischen Flüsse abgesaugt oder umgeleitet. Geschunden waren die Menschen dort. Oberflächlich fehlte Ihnen Arbeit – in der Seele aber tat ihnen weh, dass Fremde ihnen ihre Identität genommen hatten, sie ihrer Geschichte enteigneten und Würde und Respekt verweigerten.

Foto: Heidrun Heidecke August 2014 in Goitzschewildnis von Martin Lemke, Eigenes Werk. Lizenziert unter CC-BY-SA 4.0 über Wikimedia Commons.

 

Ferropolis war „unsere“ Idee einer Widerstandsästhetik. (Auch wenn sie heute touristisch verramscht wird, kann man – wenn man will – die kleine Vision dahinter sehen: Einer Künstler-, Nach- und Selbstdenkerstadt, die Transformationsentwürfe produziert – mit den Betroffenen zusammen.)

Und weißt Du noch, wie oft wir dann – später – mit Dir durch die Flächen um den Bitterfelder See stiegen – es waren künstliche und natürliche Gestaltungen von Flächen des ehemaligen Bergbaus. Ich weiß niemanden, der einem so die Augen für die Sukzessionen der Natur einerseits und für die Sensibilisierungsart der Einheimischen für Umbrüche andererseits öffnete – wie Du.

Du hast Tschüss gesagt! Irgendwie kann ich Dich gut verstehen. Aber wie jede kluge Hexe hast Du der Menschheit einen Rettungsring hingelegt. Es sind das einmal viele Geschichten über Dich – und es ist Dein großartiger Sohn!